DER SENDERMANN /​ THE TRANSMITTER MAN, 1972–1975 von Andreas Seltzer

Die ersten noch unsicher gekrit­zel­ten Mitteilungen des Sendermanns tauch­ten in den Wintermonaten 1972 in den Bezirken Tempelhof und Schöneberg auf. Bis zum Jahre 1978 überzog er die Innenstadt von West-Berlin mit paranoid anmuten­den Inschriften.

An den Wochenenden sah man ihn häufig den Kurfürstendamm mit Transparenten entlang­wan­dern. Er war ein kräfti­ger Mann, der mit schnei­den­der Stimme durch sein Megaphon krypti­sche Botschaften rief: „Bürger! Entwickelt Initiative! In jedem 3. Haus CIA und Abschirmdienst mit Sendern! Wehrt Euch! Der Verfassungsschutz foltert Bürger mit Sendern!“ Der Parolenseligkeit der versi­ckern­den Studentenbewegung überdrüs­sig, tippten sich die meisten Passanten an die Stirn: wieder ein Spinner. Es gab eine merkwür­dige Diskrepanz zwischen dem agita­to­ri­schen Auftreten des Sendermanns und der Einsilbigkeit mit der er sich in persön­li­chem Gespräch über die ominö­sen Sender äußerte. Offenbar brauchte es seheri­sche Fähigkeiten, um sie orten zu können. Viel lieber wieder­holte er mecha­nisch seine Warnungen vor der Gefahr, die die „Geheimbündelei“ großer Organisationen darstellte, die der CIA etwa, oder des Verfassungsschutzes, der SPD oder eines nicht weiter charak­te­ri­sier­ten „Abschirmdienstes“, dessen Spitzel jeder­zeit bereit waren, mittels Sendern Lauschangriffe durch­zu­füh­ren. Als Operationsbasis schie­nen diese Geräte schon jedes dritte Haus zu nutzen. Bald hieß es dann auch, dass jedes Haus zur Relaisstation finste­rer Mächte gewor­den sei. Das Quälende an dieser Vision des Sendermanns war, dass die derart imagi­nier­ten Mächte mithilfe umfas­sen­der Camouflage subtile Folter auszu­üben schie­nen: Haushaltsgeräte, Kleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände, – alles konnte zum Versteck taugen, aus dem heraus das Leben ringsum proto­kol­liert wurde. Selbst die auf Werbeplakaten abgebil­de­ten Dinge und Menschen erschie­nen im Kosmos des Sendermanns als Agenten einer alles durch­drin­gen­den Registrier-Maschinerie.

Berlin, West wie Ost, war in den Jahren der Sendermann-Aktivitäten, ein Eldorado der Geheimdienste: der CIA, der NSA (die mit ihren Abhöranlagen auf dem Teufelsberg residierte), des KGB, der briti­schen und franzö­si­schen Geheimdienste, der Staatssicherheit der DDR, des BND, des Verfassungsschutzes, – immer ging es um das Sammeln von Informationen, um das Platzieren von Maulwürfen, um die Möglichkeit von Einflussnahmen und um politi­sche Manipulation.

Ob der Sendermann selbst ein Opfer der Anwerbeaktionen dieser Dienste gewesen ist, wissen wir nicht. Auffällig ist, dass in seinen Warnungen immer nur von der CIA und dem Verfassungsschutz die Rede war. Eines der wenigen bekannt­ge­wor­de­nen Details seiner Biografie ist, dass er in den frühen 60er Jahren eine Zeitlang als Ingenieur bei General Motors in Detroit gearbei­tet hat. Bei diesem Hintergrund kann man davon ausge­hen, dass er über genügend technisch-logis­ti­sche Fähigkeiten verfügte, um die fast general­stabs­mä­ßige Eroberung der städti­schen Oberflächen zu reali­sie­ren. Im Gegensatz zu seinen öffent­lich vollzo­ge­nen Plakat- bzw. Transparentaktionen musste das Schriftschreiben heimlich statt­fin­den. Hätte man ihn dabei erwischt, wären saftige Strafen fällig gewesen. Wie Tagger und Sprayer heutzu­tage, hatte er ein siche­res Auge für die Platzierung seiner Botschaften. Viele seiner oft sorgfäl­tig gepin­sel­ten und varian­ten­rei­chen Slogans waren in Winkeln städti­scher Brachen versteckt und konnten an Bauzäunen und an Wänden von Kinderspielplätzen, Parkplätzen, Brücken und Straßenunterführungen entdeckt werden.

Inmitten der „Textkämpfe“, wie Michael Rutschky die Konkurrenz städti­scher Wandparolen und Graffiti nannte, erschie­nen die Sendermann-Sätze in ihrer Rätselhaftigkeit infizie­rend; sie wirkten wie Sperrzonen, die nur mühsam die Sicherheiten der Normalität aufrecht­erhal­ten konnten.

Andreas Seltzer hat das damals, als er mit der Kamera auf der Suche nach Inschriften des Sendermanns die Stadt durch­wan­derte, schon früh erkannt. Vertraut mit den Sammlungen des Psychiaters Hans Prinzhorn, war ihm klarge­wor­den, dass sich hier eine zeitge­mäße „Bildnerei der Geisteskranken“ entwi­ckelt hatte, die nicht mehr in den Abgeschlossenheiten des priva­ten und klinisch kontrol­lier­ten Wahns agierte, sondern selbst­be­wusst das Stadtterrain als Arbeitsfeld verstand, das auf Signaturen wie die des Sendermanns wartete.

Gundula Schmitz, Laura Mars Galerie, Berlin 2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

THE TRANSMITTER MAN

The Sendermann’s initi­ally hesitantly scribb­led messa­ges first appeared in the winter months of 1972 in the West Berlin districts of Tempelhof and Schöneberg. By 1978, he had covered downtown West Berlin with paranoid-seeming inscriptions.

On weekends one could often see him walking along Kurfürstendamm bearing his banners. He was a stocky man, who would shout his announce­ments with a shrill voice into his megaphone: “Citizens! Take action! Every third building houses trans­mit­ters from the CIA and Counter-Intelligence Service. Defend yoursel­ves! The Constitution Protections Service tortures citizens with trans­mit­ters!” Fed up with the fading, still slogan-chanting student movement, the passers-by conside­red him to be just another wacko. There was a strange discrepancy between the Sendermann’s fomen­ting demeanor in public and his taciturn explana­ti­ons about the ominous trans­mit­ters in private conver­sa­tion. Apparently, visio­nary capaci­ties were requi­red to locate them. He prefer­red to mecha­ni­cally repeat his warnings of the danger of the secre­ti­ve­ness of large organiza­ti­ons like the CIA or the German Office for the Protection of the Constitution, the Social Democratic Party or other unspe­ci­fied counter-intel­li­gence agencies, whose infor­mers were ready at any moment to perform some trans­mit­ter-based electro­nic eaves­drop­ping. It would seem that every third house already served as an opera­tio­nal base for such devices. Particularly distres­sing was the fact that, accor­ding to the Sendermann’s vision, these imagi­ned powers seemed to exercise a subtle torture by means of all-encom­pas­sing camou­flage: house­hold appli­ances, clothing, furni­ture – anything could serve as a hiding place from which the surroun­ding life could be recor­ded. In his cosmos even the objects and people depic­ted on adver­ti­sing billboards appeared to him to be agents of an all-penet­ra­ting recor­ding organization.

In East and West Berlin alike, the city was swarm­ing with intel­li­gen­ces services during the period of the Sendermann’s activity: the CIA, the NSA (which resided with its tapping techno­logy on the Teufelsberg), the KGB, the British and French secret services, the GDR Stasi, the West German BND and the Office for the Protection of the Constitution: it was all about collec­ting infor­ma­tion, placing moles, oppor­tu­ni­ties to exert influence and politi­cal manipulation.

We do not know whether the Sendermann himself was a victim of these services’ recruit­ments. Though it is suspi­cious, that his warnings only refer­red to the CIA and the Office for the Protection of the Constitution. We know that he worked as an engineer for General Motors in Detroit in the early sixties. With a background like this it is very likely that he was in techni­cally and logisti­cally skilled and there­fore capable of taking over the cityscape with an almost military precis­ion. Unlike his public poster and banner campaigns, his inscrip­ti­ons had to be perfor­med in stealth. Getting caught red-handed was to face hefty fines. He had a keen eye for the place­ment of his messa­ges, just like the taggers and spray­ers of today. Many of his carefully painted, varie­ga­ted slogans were hidden in the nooks and crannies of vacant lots or could be found on the fences of building sites, playground walls, parking lots, bridges, and underpasses.

In the midst of the “Textkämpfe”, Michael Rutschky’s term for the compe­ti­tion between wall slogans and graffiti, the Sendermann’s lines with their myste­rious meanings proved to be infec­tious. They seemed like restric­ted zones, barely capable of maintai­ning the safety of normality.

Andreas Seltzer reali­zed this early on, strol­ling through the city, armed with his camera, in search of the Sendermann’s writings. Familiar with the collec­tions of psych­ia­trist Hans Prinzhorn, he recogni­zed this to be an example of contem­po­rary “artistry of the mentally ill”. Here no longer perfor­med in the confi­ne­ments of priva­tely and clini­cally control­led delusion, but rather with the confi­dent under­stan­ding of urban space as a canvas, in wait for more signa­tures such as those of the Sendermann.

Gundula Schmitz, Laura Mars Gallery, Berlin 2014

 

 

 

 

Alle Abbildungen © Andreas Seltzer, Courtesy Laura Mars Galerie, Berlin

Die Publikation Andreas Seltzer. Der Sendermann /​ The Transmitter Man ist im Fantôme Verlag, Berlin erhältlich.