Die ersten noch unsicher gekritzelten Mitteilungen des Sendermanns tauchten in den Wintermonaten 1972 in den Bezirken Tempelhof und Schöneberg auf. Bis zum Jahre 1978 überzog er die Innenstadt von West-Berlin mit paranoid anmutenden Inschriften.
An den Wochenenden sah man ihn häufig den Kurfürstendamm mit Transparenten entlangwandern. Er war ein kräftiger Mann, der mit schneidender Stimme durch sein Megaphon kryptische Botschaften rief: „Bürger! Entwickelt Initiative! In jedem 3. Haus CIA und Abschirmdienst mit Sendern! Wehrt Euch! Der Verfassungsschutz foltert Bürger mit Sendern!“ Der Parolenseligkeit der versickernden Studentenbewegung überdrüssig, tippten sich die meisten Passanten an die Stirn: wieder ein Spinner. Es gab eine merkwürdige Diskrepanz zwischen dem agitatorischen Auftreten des Sendermanns und der Einsilbigkeit mit der er sich in persönlichem Gespräch über die ominösen Sender äußerte. Offenbar brauchte es seherische Fähigkeiten, um sie orten zu können. Viel lieber wiederholte er mechanisch seine Warnungen vor der Gefahr, die die „Geheimbündelei“ großer Organisationen darstellte, die der CIA etwa, oder des Verfassungsschutzes, der SPD oder eines nicht weiter charakterisierten „Abschirmdienstes“, dessen Spitzel jederzeit bereit waren, mittels Sendern Lauschangriffe durchzuführen. Als Operationsbasis schienen diese Geräte schon jedes dritte Haus zu nutzen. Bald hieß es dann auch, dass jedes Haus zur Relaisstation finsterer Mächte geworden sei. Das Quälende an dieser Vision des Sendermanns war, dass die derart imaginierten Mächte mithilfe umfassender Camouflage subtile Folter auszuüben schienen: Haushaltsgeräte, Kleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände, – alles konnte zum Versteck taugen, aus dem heraus das Leben ringsum protokolliert wurde. Selbst die auf Werbeplakaten abgebildeten Dinge und Menschen erschienen im Kosmos des Sendermanns als Agenten einer alles durchdringenden Registrier-Maschinerie.
Berlin, West wie Ost, war in den Jahren der Sendermann-Aktivitäten, ein Eldorado der Geheimdienste: der CIA, der NSA (die mit ihren Abhöranlagen auf dem Teufelsberg residierte), des KGB, der britischen und französischen Geheimdienste, der Staatssicherheit der DDR, des BND, des Verfassungsschutzes, – immer ging es um das Sammeln von Informationen, um das Platzieren von Maulwürfen, um die Möglichkeit von Einflussnahmen und um politische Manipulation.
Ob der Sendermann selbst ein Opfer der Anwerbeaktionen dieser Dienste gewesen ist, wissen wir nicht. Auffällig ist, dass in seinen Warnungen immer nur von der CIA und dem Verfassungsschutz die Rede war. Eines der wenigen bekanntgewordenen Details seiner Biografie ist, dass er in den frühen 60er Jahren eine Zeitlang als Ingenieur bei General Motors in Detroit gearbeitet hat. Bei diesem Hintergrund kann man davon ausgehen, dass er über genügend technisch-logistische Fähigkeiten verfügte, um die fast generalstabsmäßige Eroberung der städtischen Oberflächen zu realisieren. Im Gegensatz zu seinen öffentlich vollzogenen Plakat- bzw. Transparentaktionen musste das Schriftschreiben heimlich stattfinden. Hätte man ihn dabei erwischt, wären saftige Strafen fällig gewesen. Wie Tagger und Sprayer heutzutage, hatte er ein sicheres Auge für die Platzierung seiner Botschaften. Viele seiner oft sorgfältig gepinselten und variantenreichen Slogans waren in Winkeln städtischer Brachen versteckt und konnten an Bauzäunen und an Wänden von Kinderspielplätzen, Parkplätzen, Brücken und Straßenunterführungen entdeckt werden.
Inmitten der „Textkämpfe“, wie Michael Rutschky die Konkurrenz städtischer Wandparolen und Graffiti nannte, erschienen die Sendermann-Sätze in ihrer Rätselhaftigkeit infizierend; sie wirkten wie Sperrzonen, die nur mühsam die Sicherheiten der Normalität aufrechterhalten konnten.
Andreas Seltzer hat das damals, als er mit der Kamera auf der Suche nach Inschriften des Sendermanns die Stadt durchwanderte, schon früh erkannt. Vertraut mit den Sammlungen des Psychiaters Hans Prinzhorn, war ihm klargeworden, dass sich hier eine zeitgemäße „Bildnerei der Geisteskranken“ entwickelt hatte, die nicht mehr in den Abgeschlossenheiten des privaten und klinisch kontrollierten Wahns agierte, sondern selbstbewusst das Stadtterrain als Arbeitsfeld verstand, das auf Signaturen wie die des Sendermanns wartete.
Gundula Schmitz, Laura Mars Galerie, Berlin 2014
THETRANSMITTERMAN
The Sendermann’s initially hesitantly scribbled messages first appeared in the winter months of 1972 in the West Berlin districts of Tempelhof and Schöneberg. By 1978, he had covered downtown West Berlin with paranoid-seeming inscriptions.
On weekends one could often see him walking along Kurfürstendamm bearing his banners. He was a stocky man, who would shout his announcements with a shrill voice into his megaphone: “Citizens! Take action! Every third building houses transmitters from the CIA and Counter-Intelligence Service. Defend yourselves! The Constitution Protections Service tortures citizens with transmitters!” Fed up with the fading, still slogan-chanting student movement, the passers-by considered him to be just another wacko. There was a strange discrepancy between the Sendermann’s fomenting demeanor in public and his taciturn explanations about the ominous transmitters in private conversation. Apparently, visionary capacities were required to locate them. He preferred to mechanically repeat his warnings of the danger of the secretiveness of large organizations like the CIA or the German Office for the Protection of the Constitution, the Social Democratic Party or other unspecified counter-intelligence agencies, whose informers were ready at any moment to perform some transmitter-based electronic eavesdropping. It would seem that every third house already served as an operational base for such devices. Particularly distressing was the fact that, according to the Sendermann’s vision, these imagined powers seemed to exercise a subtle torture by means of all-encompassing camouflage: household appliances, clothing, furniture – anything could serve as a hiding place from which the surrounding life could be recorded. In his cosmos even the objects and people depicted on advertising billboards appeared to him to be agents of an all-penetrating recording organization.
In East and West Berlin alike, the city was swarming with intelligences services during the period of the Sendermann’s activity: the CIA, the NSA (which resided with its tapping technology on the Teufelsberg), the KGB, the British and French secret services, the GDR Stasi, the West German BND and the Office for the Protection of the Constitution: it was all about collecting information, placing moles, opportunities to exert influence and political manipulation.
We do not know whether the Sendermann himself was a victim of these services’ recruitments. Though it is suspicious, that his warnings only referred to the CIA and the Office for the Protection of the Constitution. We know that he worked as an engineer for General Motors in Detroit in the early sixties. With a background like this it is very likely that he was in technically and logistically skilled and therefore capable of taking over the cityscape with an almost military precision. Unlike his public poster and banner campaigns, his inscriptions had to be performed in stealth. Getting caught red-handed was to face hefty fines. He had a keen eye for the placement of his messages, just like the taggers and sprayers of today. Many of his carefully painted, variegated slogans were hidden in the nooks and crannies of vacant lots or could be found on the fences of building sites, playground walls, parking lots, bridges, and underpasses.
In the midst of the “Textkämpfe”, Michael Rutschky’s term for the competition between wall slogans and graffiti, the Sendermann’s lines with their mysterious meanings proved to be infectious. They seemed like restricted zones, barely capable of maintaining the safety of normality.
Andreas Seltzer realized this early on, strolling through the city, armed with his camera, in search of the Sendermann’s writings. Familiar with the collections of psychiatrist Hans Prinzhorn, he recognized this to be an example of contemporary “artistry of the mentally ill”. Here no longer performed in the confinements of privately and clinically controlled delusion, but rather with the confident understanding of urban space as a canvas, in wait for more signatures such as those of the Sendermann.
Die ersten noch unsicher gekritzelten Mitteilungen des Sendermanns tauchten in den Wintermonaten 1972 in den Bezirken Tempelhof und Schöneberg auf. Bis zum Jahre 1978 überzog er die Innenstadt von West-Berlin mit paranoid anmutenden Inschriften.
An den Wochenenden sah man ihn häufig den Kurfürstendamm mit Transparenten entlangwandern. Er war ein kräftiger Mann, der mit schneidender Stimme durch sein Megaphon kryptische Botschaften rief: „Bürger! Entwickelt Initiative! In jedem 3. Haus CIA und Abschirmdienst mit Sendern! Wehrt Euch! Der Verfassungsschutz foltert Bürger mit Sendern!“ Der Parolenseligkeit der versickernden Studentenbewegung überdrüssig, tippten sich die meisten Passanten an die Stirn: wieder ein Spinner. Es gab eine merkwürdige Diskrepanz zwischen dem agitatorischen Auftreten des Sendermanns und der Einsilbigkeit mit der er sich in persönlichem Gespräch über die ominösen Sender äußerte. Offenbar brauchte es seherische Fähigkeiten, um sie orten zu können. Viel lieber wiederholte er mechanisch seine Warnungen vor der Gefahr, die die „Geheimbündelei“ großer Organisationen darstellte, die der CIA etwa, oder des Verfassungsschutzes, der SPD oder eines nicht weiter charakterisierten „Abschirmdienstes“, dessen Spitzel jederzeit bereit waren, mittels Sendern Lauschangriffe durchzuführen. Als Operationsbasis schienen diese Geräte schon jedes dritte Haus zu nutzen. Bald hieß es dann auch, dass jedes Haus zur Relaisstation finsterer Mächte geworden sei. Das Quälende an dieser Vision des Sendermanns war, dass die derart imaginierten Mächte mithilfe umfassender Camouflage subtile Folter auszuüben schienen: Haushaltsgeräte, Kleidungsstücke, Einrichtungsgegenstände, – alles konnte zum Versteck taugen, aus dem heraus das Leben ringsum protokolliert wurde. Selbst die auf Werbeplakaten abgebildeten Dinge und Menschen erschienen im Kosmos des Sendermanns als Agenten einer alles durchdringenden Registrier-Maschinerie.
Berlin, West wie Ost, war in den Jahren der Sendermann-Aktivitäten, ein Eldorado der Geheimdienste: der CIA, der NSA (die mit ihren Abhöranlagen auf dem Teufelsberg residierte), des KGB, der britischen und französischen Geheimdienste, der Staatssicherheit der DDR, des BND, des Verfassungsschutzes, – immer ging es um das Sammeln von Informationen, um das Platzieren von Maulwürfen, um die Möglichkeit von Einflussnahmen und um politische Manipulation.
Ob der Sendermann selbst ein Opfer der Anwerbeaktionen dieser Dienste gewesen ist, wissen wir nicht. Auffällig ist, dass in seinen Warnungen immer nur von der CIA und dem Verfassungsschutz die Rede war. Eines der wenigen bekanntgewordenen Details seiner Biografie ist, dass er in den frühen 60er Jahren eine Zeitlang als Ingenieur bei General Motors in Detroit gearbeitet hat. Bei diesem Hintergrund kann man davon ausgehen, dass er über genügend technisch-logistische Fähigkeiten verfügte, um die fast generalstabsmäßige Eroberung der städtischen Oberflächen zu realisieren. Im Gegensatz zu seinen öffentlich vollzogenen Plakat- bzw. Transparentaktionen musste das Schriftschreiben heimlich stattfinden. Hätte man ihn dabei erwischt, wären saftige Strafen fällig gewesen. Wie Tagger und Sprayer heutzutage, hatte er ein sicheres Auge für die Platzierung seiner Botschaften. Viele seiner oft sorgfältig gepinselten und variantenreichen Slogans waren in Winkeln städtischer Brachen versteckt und konnten an Bauzäunen und an Wänden von Kinderspielplätzen, Parkplätzen, Brücken und Straßenunterführungen entdeckt werden.
Inmitten der „Textkämpfe“, wie Michael Rutschky die Konkurrenz städtischer Wandparolen und Graffiti nannte, erschienen die Sendermann-Sätze in ihrer Rätselhaftigkeit infizierend; sie wirkten wie Sperrzonen, die nur mühsam die Sicherheiten der Normalität aufrechterhalten konnten.
Andreas Seltzer hat das damals, als er mit der Kamera auf der Suche nach Inschriften des Sendermanns die Stadt durchwanderte, schon früh erkannt. Vertraut mit den Sammlungen des Psychiaters Hans Prinzhorn, war ihm klargeworden, dass sich hier eine zeitgemäße „Bildnerei der Geisteskranken“ entwickelt hatte, die nicht mehr in den Abgeschlossenheiten des privaten und klinisch kontrollierten Wahns agierte, sondern selbstbewusst das Stadtterrain als Arbeitsfeld verstand, das auf Signaturen wie die des Sendermanns wartete.
Gundula Schmitz, Laura Mars Galerie, Berlin 2014
THE TRANSMITTER MAN
The Sendermann’s initially hesitantly scribbled messages first appeared in the winter months of 1972 in the West Berlin districts of Tempelhof and Schöneberg. By 1978, he had covered downtown West Berlin with paranoid-seeming inscriptions.
On weekends one could often see him walking along Kurfürstendamm bearing his banners. He was a stocky man, who would shout his announcements with a shrill voice into his megaphone: “Citizens! Take action! Every third building houses transmitters from the CIA and Counter-Intelligence Service. Defend yourselves! The Constitution Protections Service tortures citizens with transmitters!” Fed up with the fading, still slogan-chanting student movement, the passers-by considered him to be just another wacko. There was a strange discrepancy between the Sendermann’s fomenting demeanor in public and his taciturn explanations about the ominous transmitters in private conversation. Apparently, visionary capacities were required to locate them. He preferred to mechanically repeat his warnings of the danger of the secretiveness of large organizations like the CIA or the German Office for the Protection of the Constitution, the Social Democratic Party or other unspecified counter-intelligence agencies, whose informers were ready at any moment to perform some transmitter-based electronic eavesdropping. It would seem that every third house already served as an operational base for such devices. Particularly distressing was the fact that, according to the Sendermann’s vision, these imagined powers seemed to exercise a subtle torture by means of all-encompassing camouflage: household appliances, clothing, furniture – anything could serve as a hiding place from which the surrounding life could be recorded. In his cosmos even the objects and people depicted on advertising billboards appeared to him to be agents of an all-penetrating recording organization.
In East and West Berlin alike, the city was swarming with intelligences services during the period of the Sendermann’s activity: the CIA, the NSA (which resided with its tapping technology on the Teufelsberg), the KGB, the British and French secret services, the GDR Stasi, the West German BND and the Office for the Protection of the Constitution: it was all about collecting information, placing moles, opportunities to exert influence and political manipulation.
We do not know whether the Sendermann himself was a victim of these services’ recruitments. Though it is suspicious, that his warnings only referred to the CIA and the Office for the Protection of the Constitution. We know that he worked as an engineer for General Motors in Detroit in the early sixties. With a background like this it is very likely that he was in technically and logistically skilled and therefore capable of taking over the cityscape with an almost military precision. Unlike his public poster and banner campaigns, his inscriptions had to be performed in stealth. Getting caught red-handed was to face hefty fines. He had a keen eye for the placement of his messages, just like the taggers and sprayers of today. Many of his carefully painted, variegated slogans were hidden in the nooks and crannies of vacant lots or could be found on the fences of building sites, playground walls, parking lots, bridges, and underpasses.
In the midst of the “Textkämpfe”, Michael Rutschky’s term for the competition between wall slogans and graffiti, the Sendermann’s lines with their mysterious meanings proved to be infectious. They seemed like restricted zones, barely capable of maintaining the safety of normality.
Andreas Seltzer realized this early on, strolling through the city, armed with his camera, in search of the Sendermann’s writings. Familiar with the collections of psychiatrist Hans Prinzhorn, he recognized this to be an example of contemporary “artistry of the mentally ill”. Here no longer performed in the confinements of privately and clinically controlled delusion, but rather with the confident understanding of urban space as a canvas, in wait for more signatures such as those of the Sendermann.
Gundula Schmitz, Laura Mars Gallery, Berlin 2014
Alle Abbildungen © Andreas Seltzer, Courtesy Laura Mars Galerie, Berlin
Die Publikation Andreas Seltzer. Der Sendermann / The Transmitter Man ist im Fantôme Verlag, Berlin erhältlich.