In kaum einer anderen Stadt liegt die Stratigraphie so offen wie in Rom. Die „aussergewöhnlich vielen Zeitschichten“ (Pasolini) der urbs aeterna nehmen stetig zu, aus den oft zufällig nebeneinander liegenden Fragmenten entwachsen immer wieder neue Kombinationen und Kontexte, meist völlig ungeplant. Mit wachem Auge für dieses assoziativ flirrende Terrain hat das Künstlerduo Dagmar Keller und Martin Wittwer eine Fotoserie geschaffen, bei der nicht die Menschen im Vordergrund standen, sondern die von ihnen hinterlassenen und zu einem Kondensat verschmolzenen Spuren.
Die hier versammelten Fotografien von Dagmar Keller und Martin Wittwer sind eine Auswahl aus der gleichnamigen Serie von 2006. Die zurückhaltende Farbpalette, die der für einmal bedeckte Himmel Roms anmischt, mag auf die jüngere Geschichte der italienischen Fotografie verweisen, etwa den Neorealismo oder die Werke eines Guido Guidis. Gerade die sinnfällige Bezeichnung seiner Arbeiten als scavo archeologico liesse sich gut auch auf die Fotoserie des Düsseldorfer Künstlerduos übertragen. Eine getrübte, leblose und zugleich mystische Atmosphäre entströmt den Bildern. Die vorgeführte Rundschau auf Ikonen des Faschismus und der Moderne, auf Bauten der Nachkriegsarchitektur und die Giganten der peripheren Trabantenstädte ist mehr als ein totes Inventar: Keller/Wittwer beschreiben die Stadt als soziopolitische Topologie, die sich aus der für Rom so typischen Überlagerung unterschiedlicher Zeiten und Geschichten speist. Mit den abgelichteten faschistischen Monumenten oder einem Ausschnitt der Mussolinistadt Sabaudia am Beginn wird die gesamte Serie einem Kontext zugeordnet, von dem auch die späteren Zeitzeugen bzw. die nachfolgenden hier gezeigten Bilder nicht loskommen.
Allgegenwärtig ist neben der Vergangenheit aber auch der Eindruck von Vergänglichkeit. Da und dort scheint noch der ursprüngliche Effort einer vergangenen Zeit in den massigen Monumenten zu pulsieren, gespeichert, doch nicht mehr direkt abrufbar. Längst hat sich eine morbide Patina zu bilden begonnen. Die hier präsentierte, heruntergekommene und gleichsam topische Szenerie bliebe hoffnungslos, wären da nicht die kleinen Widersprüche im schalen Geruch des Verwelkten: Unbequeme Blickwinkel, die die Sicht aufs Gewohnte reduzieren, und überraschende Kombinationen von Wesentlichem mit Unwesentlichem laden die Bilder spannungsvoll auf und brechen den vordergründig ernst gemeinten Pathos. Gleichzeitig vermögen jüngste ephemere Schichten wie Plakate oder Graffiti diese Vergänglichkeit zu negieren, indem sie z.B. in Form eines gesprayten Nike-Logos die griechische Mythologie zitieren und mit dieser Rückblende den diachronen Bogen schliessen.
Pantheon – seine unwirkliche und unweigerlich einprägsame Größe ist ebenso ungreifbar wie die Götter, denen der Rundtempel einst geweiht war. Unfassbar bleibt der Bau auch in der vollständigen Version der Fotoserie, denn La Rotonda wird nicht gezeigt. Und doch: Die Assoziation mit dem besterhaltenen und wohl auch meistfotografierten Bauwerk der römischen Antike schwingt beständig mit. Seine Zeit schuf den Fundus der Formensprache, der sich die faschistischen aber auch die späteren Architekturen mit Vorliebe bedienten. Die tertiäre Funktion des Pantheons als Grablege, als säkularisierte Ruhmeshalle zu Ehren berühmter Persönlichkeiten legt den Fokus auf die gefeierten Toten. In den Fotografien sind die Protagonisten der Vergangenheit und Gegenwart unsichtbar; durch den Hang zum Monumentalen aber doch aufdringlich präsent. Die übersteigerte Grösse findet sich in den historischen Bauten und kraftstrotzenden Statuen, ebenso aber auch in den Bildern und Schriftzügen auf kommerziellen und politischen Werbeflächen. So lässt sich das Pantheon auch als ewig glänzendes Label nutzen: das abgestellte Motorino »Pantheon« macht seinen Besitzer zum behelmten Gott oder zumindest zur gefeierten Persönlichkeit. Als Wahrzeichen der ewigen Stadt steht der Titel exemplarisch für ganz Rom als Palimpsest. Der megalomane Anspruch, ob gefeiert oder als gescheiterte Utopie am Verrotten, atmet noch immer darin.
Text von Dr. Sabine Sommerer, erschienen in: Kontext HRMagazin No.2, Bauhaus Universität Weimar, 2016. Sabine Sommerer ist Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt in mittelalterlicher Kunstgeschichte und hat 2005/2006 zusammen mit Dagmar Keller und Martin Wittwer ein Jahr als Membro des Istituto Svizzero Rom gelebt. Nach ihrer Zeit als Oberassistentin an der Universität Zürich vertritt sie die Professur für mittelalterliche Kunstgeschichte in Bamberg.
In kaum einer anderen Stadt liegt die Stratigraphie so offen wie in Rom. Die „aussergewöhnlich vielen Zeitschichten“ (Pasolini) der urbs aeterna nehmen stetig zu, aus den oft zufällig nebeneinander liegenden Fragmenten entwachsen immer wieder neue Kombinationen und Kontexte, meist völlig ungeplant. Mit wachem Auge für dieses assoziativ flirrende Terrain hat das Künstlerduo Dagmar Keller und Martin Wittwer eine Fotoserie geschaffen, bei der nicht die Menschen im Vordergrund standen, sondern die von ihnen hinterlassenen und zu einem Kondensat verschmolzenen Spuren.
Die hier versammelten Fotografien von Dagmar Keller und Martin Wittwer sind eine Auswahl aus der gleichnamigen Serie von 2006. Die zurückhaltende Farbpalette, die der für einmal bedeckte Himmel Roms anmischt, mag auf die jüngere Geschichte der italienischen Fotografie verweisen, etwa den Neorealismo oder die Werke eines Guido Guidis. Gerade die sinnfällige Bezeichnung seiner Arbeiten als scavo archeologico liesse sich gut auch auf die Fotoserie des Düsseldorfer Künstlerduos übertragen. Eine getrübte, leblose und zugleich mystische Atmosphäre entströmt den Bildern. Die vorgeführte Rundschau auf Ikonen des Faschismus und der Moderne, auf Bauten der Nachkriegsarchitektur und die Giganten der peripheren Trabantenstädte ist mehr als ein totes Inventar: Keller/Wittwer beschreiben die Stadt als soziopolitische Topologie, die sich aus der für Rom so typischen Überlagerung unterschiedlicher Zeiten und Geschichten speist. Mit den abgelichteten faschistischen Monumenten oder einem Ausschnitt der Mussolinistadt Sabaudia am Beginn wird die gesamte Serie einem Kontext zugeordnet, von dem auch die späteren Zeitzeugen bzw. die nachfolgenden hier gezeigten Bilder nicht loskommen.
Allgegenwärtig ist neben der Vergangenheit aber auch der Eindruck von Vergänglichkeit. Da und dort scheint noch der ursprüngliche Effort einer vergangenen Zeit in den massigen Monumenten zu pulsieren, gespeichert, doch nicht mehr direkt abrufbar. Längst hat sich eine morbide Patina zu bilden begonnen. Die hier präsentierte, heruntergekommene und gleichsam topische Szenerie bliebe hoffnungslos, wären da nicht die kleinen Widersprüche im schalen Geruch des Verwelkten: Unbequeme Blickwinkel, die die Sicht aufs Gewohnte reduzieren, und überraschende Kombinationen von Wesentlichem mit Unwesentlichem laden die Bilder spannungsvoll auf und brechen den vordergründig ernst gemeinten Pathos. Gleichzeitig vermögen jüngste ephemere Schichten wie Plakate oder Graffiti diese Vergänglichkeit zu negieren, indem sie z.B. in Form eines gesprayten Nike-Logos die griechische Mythologie zitieren und mit dieser Rückblende den diachronen Bogen schliessen.
Pantheon – seine unwirkliche und unweigerlich einprägsame Größe ist ebenso ungreifbar wie die Götter, denen der Rundtempel einst geweiht war. Unfassbar bleibt der Bau auch in der vollständigen Version der Fotoserie, denn La Rotonda wird nicht gezeigt. Und doch: Die Assoziation mit dem besterhaltenen und wohl auch meistfotografierten Bauwerk der römischen Antike schwingt beständig mit. Seine Zeit schuf den Fundus der Formensprache, der sich die faschistischen aber auch die späteren Architekturen mit Vorliebe bedienten. Die tertiäre Funktion des Pantheons als Grablege, als säkularisierte Ruhmeshalle zu Ehren berühmter Persönlichkeiten legt den Fokus auf die gefeierten Toten. In den Fotografien sind die Protagonisten der Vergangenheit und Gegenwart unsichtbar; durch den Hang zum Monumentalen aber doch aufdringlich präsent. Die übersteigerte Grösse findet sich in den historischen Bauten und kraftstrotzenden Statuen, ebenso aber auch in den Bildern und Schriftzügen auf kommerziellen und politischen Werbeflächen. So lässt sich das Pantheon auch als ewig glänzendes Label nutzen: das abgestellte Motorino »Pantheon« macht seinen Besitzer zum behelmten Gott oder zumindest zur gefeierten Persönlichkeit. Als Wahrzeichen der ewigen Stadt steht der Titel exemplarisch für ganz Rom als Palimpsest. Der megalomane Anspruch, ob gefeiert oder als gescheiterte Utopie am Verrotten, atmet noch immer darin.
Text von Dr. Sabine Sommerer, erschienen in: Kontext HRMagazin No.2, Bauhaus Universität Weimar, 2016.
Sabine Sommerer ist Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt in mittelalterlicher Kunstgeschichte und hat 2005/2006 zusammen mit Dagmar Keller und Martin Wittwer ein Jahr als Membro des Istituto Svizzero Rom gelebt. Nach ihrer Zeit als Oberassistentin an der Universität Zürich vertritt sie die Professur für mittelalterliche Kunstgeschichte in Bamberg.