Die Fotografien entstanden auf Reisen. Aus dem Inventar des Hotelzimmers wurde während der Nacht eine Behausung, die mit der Kamera dokumentiert wurde. Vor Tagesanbruch kam das Mobiliar wieder an seinen Platz, so dass der Zimmerservice alles wieder im ursprünglichen Zustand vorfand.
The photographs were made during travels. At night the contents of a hotel room were rearranged into a shelter and then documented with a camera. Before daybreak the furnishings were moved back into position, so that room service found everything in its original state.
Holiday Inn, Frankfurt-Offenbach, Zimmer 710, Nacht zum 14. März 1999
Hotel Città di Parenzo, Triest, Zimmer 307, Nacht zum 2. Januar 1999
Hotel Lux, Grenoble, Zimmer 53, Nacht zum 10. Januar 1999
Hotel Inter-Continental, Leipzig, Zimmer 2116, Nacht zum 12. Dezember 1999
Hotel Europa, Prag, Zimmer 402, Nacht zum 8. Juni 1998
Hotel Stadt Rendsburg, Dresden, Zimmer 12a, Nacht zum 7. Juni 1998
Mövenpick Hotel, Kassel, Zimmer 231, Nacht zum 4. Juni 1999
Hotel Victoria, Lausanne, Zimmer 505, Nacht zum 11. Januar 1999
Forum Hotel, Berlin, Zimmer 1802, Nacht zum 13. Dezember 1999
Hotel des Vosges, Straßburg, Zimmer 66, Nacht zum 13. März 1999
Pension Josefine, München, Zimmer 18, Nacht zum 5. Juli 1999
Hotel Nußbaumer, Brennerpass, Zimmer 5, Nacht zum 4. Januar 1999
Astrid Wege AUFZEIT. ZUFLORIANSLOTAWASHOTELARBEITEN
Hotelzimmer sind Räume des Übergangs, die einem von vornherein begrenzten Aufenthalt dienen. Bei allen Unterschieden des Dekors wohnt ihnen ein Moment des Transitorischen inne, das sich nicht nur in der Funktionalität der Einrichtungsgegenstände widerspiegelt. Sie unterbrechen die alltägliche, gewohnte Zeitstruktur und sind in diesem Sinne andere, »heterotopische« Orte.‹
Florian Slotawas Serie der Hotelarbeiten nimmt Hotelzimmer zum Ausgangspunkt ihres künstlerischen Ansatzes. In den Jahren 1998 und 1999 reiste der Künstler in verschiedene europäische Städte – unter anderem Lausanne, Kassel, Triest, Prag, Dresden, Grenoble – und mietete sich dort in Hotels unterschiedlicher Preislagen für eine Nacht ein. Mit den im Hotelzimmer befindlichen Gegenständen – Bett, Schränken, Türen, Vorhängen, Bildern etc. – baute er höhlenartige Skulpturen, fotografierte sie anschließend und brachte die Zimmer bis zum Morgen in ihren ursprünglichen Zustand zurück, sodass nur die Fotografien davon zeugen, was in den kurzen Stunden der Nacht, von anderen unbemerkt geschehen war. Lediglich die Titel der Arbeiten – Angaben zur Stadt, zum jeweiligen Hotel mit der genauen Zimmernummer und dem Datum – verweisen auf den Entstehungsort und ‑zeitpunkt der Aufnahmen.
Slotawas Hotelarbeiten könnte man als Aufführungen von Skulpturen bezeichnen. Zwischen Skulptur und Fotografie situiert, entziehen sich die insgesamt zwölf Schwarzweißfotografien einer eindeutigen Zuordnung; vielmehr betonen sie die Wechselbeziehungen zwischen diesen Medien. So lassen die Arrangements aus Mobiliar auf eine intensive Auseinandersetzung mit klassischen Epistemen der Skulptur – der Ordnung von Masse, Volumen und Gewicht, dem Spiel mit Materialien, Konstruktion und Oberflächenstrukturen oder der Beziehung und Konzeption von Objekt, Raum und Betrachter – schließen. Die Umkehrung von schweren und leichten Gegenständen, etwa in Hotel Victoria, Lausanne, Zimmer 505, Nacht zum 11. Januar 1999, wo zwei Schubladen auf einem zusammengerollten Federbett zu lasten scheinen, unterstreicht das Moment der Fragilität des Provisorischen und der Kurzlebigkeit von Slotawas Skulpturen. Die von Slotawa neu geordneten Einrichtungsgegenstände, deren alltägliche Funktion lesbar bleibt, wie auch die architektonischen Details in den Räumen selbst – ein markantes Beispiel sind die Heizungsrohre in Hotel 5tadt Rendsburg, Dresden, Zimmer 12a, Nacht zum 7. Juni 1998 – werden zu Skulpturelementen aus Holz, Furnier, Glas, Stoff oder Metall.
Verstärkt wird dieser Aspekt durch den Einsatz der Schwarzweißfotografie, die kompositorische Strukturen besonders gut nachvollziehbar macht. Unter Ausschluss von Zeugen ausgeführt, d.h. ohne Anwesenheit eines unmittelbaren Publikums entstehen die skulpturalen Arrangements zum Zweck des Fotografiertwerdens. Sie sind demnach nicht Dokumentationen einer gefundenen Situation. Als neu geschaffener »Aggregatzustand« eines vorgegebenen Pools an Gegenständen existieren sie ausschließlich im fotografischen Bild, quasi in der Erinnerung einer bereits vergangenen Inszenierung.
Selbst in ihrer vorübergehenden Metamorphose als Material von Slotawas ln-Situ-lnstallationen behalten die verwendeten Objekte jedoch ihre Funktion als Teil einer flüchtigen Behausung. Sind Hotelzimmer meist auf das Nötigste reduzierte, anonyme Orte, dokumentieren Florian Slotawas Fotografien immer auch einen Prozess der Aneignung. Seine temporären Skulpturen bilden einen Raum im Raum, einen Schutzraum innerhalb einer bislang fremden Umgebung, der eine Nutzung als Schlafstätte durchaus ermöglicht. Sie werden zu einer »Heimat auf Zeit«. […]
1 Vgl. Michel Foucault, »Andere Räume«, in: Aisthesis.Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. hg. von Karlheinz Barck, Peter Genie, Heidi Paris und Stefan Richter, Leipzig 1991, S. 34–46. lheterotopisch = gleichzeitig an unterschiedlichen Orten wachsend)
Astrid Wege ist Kunsthistorikerin und leitet aktuell das Goethe-Institut Kolkata, Indien. Der Textauszug entstammt der Publikation zu Florian Slotawas Einzelausstellung Gesamtbesitz in der Kunsthalle Mannheim 2002.
Die Fotografien entstanden auf Reisen. Aus dem Inventar des Hotelzimmers wurde während der Nacht eine Behausung, die mit der Kamera dokumentiert wurde. Vor Tagesanbruch kam das Mobiliar wieder an seinen Platz, so dass der Zimmerservice alles wieder im ursprünglichen Zustand vorfand.
The photographs were made during travels. At night the contents of a hotel room were rearranged into a shelter and then documented with a camera. Before daybreak the furnishings were moved back into position, so that room service found everything in its original state.
Holiday Inn, Frankfurt-Offenbach, Zimmer 710, Nacht zum 14. März 1999
Hotel Città di Parenzo, Triest, Zimmer 307, Nacht zum 2. Januar 1999
Hotel Lux, Grenoble, Zimmer 53, Nacht zum 10. Januar 1999
Hotel Inter-Continental, Leipzig, Zimmer 2116, Nacht zum 12. Dezember 1999
Hotel Europa, Prag, Zimmer 402, Nacht zum 8. Juni 1998
Hotel Stadt Rendsburg, Dresden, Zimmer 12a, Nacht zum 7. Juni 1998
Mövenpick Hotel, Kassel, Zimmer 231, Nacht zum 4. Juni 1999
Hotel Victoria, Lausanne, Zimmer 505, Nacht zum 11. Januar 1999
Forum Hotel, Berlin, Zimmer 1802, Nacht zum 13. Dezember 1999
Hotel des Vosges, Straßburg, Zimmer 66, Nacht zum 13. März 1999
Pension Josefine, München, Zimmer 18, Nacht zum 5. Juli 1999
Hotel Nußbaumer, Brennerpass, Zimmer 5, Nacht zum 4. Januar 1999
Alle Abbildungen © VG Bild-Kunst, Bonn.
Astrid Wege
AUF ZEIT. ZU FLORIAN SLOTAWAS HOTELARBEITEN
Hotelzimmer sind Räume des Übergangs, die einem von vornherein begrenzten Aufenthalt dienen. Bei allen Unterschieden des Dekors wohnt ihnen ein Moment des Transitorischen inne, das sich nicht nur in der Funktionalität der Einrichtungsgegenstände widerspiegelt. Sie unterbrechen die alltägliche, gewohnte Zeitstruktur und sind in diesem Sinne andere, »heterotopische« Orte.‹
Florian Slotawas Serie der Hotelarbeiten nimmt Hotelzimmer zum Ausgangspunkt ihres künstlerischen Ansatzes. In den Jahren 1998 und 1999 reiste der Künstler in verschiedene europäische Städte – unter anderem Lausanne, Kassel, Triest, Prag, Dresden, Grenoble – und mietete sich dort in Hotels unterschiedlicher Preislagen für eine Nacht ein. Mit den im Hotelzimmer befindlichen Gegenständen – Bett, Schränken, Türen, Vorhängen, Bildern etc. – baute er höhlenartige Skulpturen, fotografierte sie anschließend und brachte die Zimmer bis zum Morgen in ihren ursprünglichen Zustand zurück, sodass nur die Fotografien davon zeugen, was in den kurzen Stunden der Nacht, von anderen unbemerkt geschehen war. Lediglich die Titel der Arbeiten – Angaben zur Stadt, zum jeweiligen Hotel mit der genauen Zimmernummer und dem Datum – verweisen auf den Entstehungsort und ‑zeitpunkt der Aufnahmen.
Slotawas Hotelarbeiten könnte man als Aufführungen von Skulpturen bezeichnen. Zwischen Skulptur und Fotografie situiert, entziehen sich die insgesamt zwölf Schwarzweißfotografien einer eindeutigen Zuordnung; vielmehr betonen sie die Wechselbeziehungen zwischen diesen Medien. So lassen die Arrangements aus Mobiliar auf eine intensive Auseinandersetzung mit klassischen Epistemen der Skulptur – der Ordnung von Masse, Volumen und Gewicht, dem Spiel mit Materialien, Konstruktion und Oberflächenstrukturen oder der Beziehung und Konzeption von Objekt, Raum und Betrachter – schließen. Die Umkehrung von schweren und leichten Gegenständen, etwa in Hotel Victoria, Lausanne, Zimmer 505, Nacht zum 11. Januar 1999, wo zwei Schubladen auf einem zusammengerollten Federbett zu lasten scheinen, unterstreicht das Moment der Fragilität des Provisorischen und der Kurzlebigkeit von Slotawas Skulpturen. Die von Slotawa neu geordneten Einrichtungsgegenstände, deren alltägliche Funktion lesbar bleibt, wie auch die architektonischen Details in den Räumen selbst – ein markantes Beispiel sind die Heizungsrohre in Hotel 5tadt Rendsburg, Dresden, Zimmer 12a, Nacht zum 7. Juni 1998 – werden zu Skulpturelementen aus Holz, Furnier, Glas, Stoff oder Metall.
Verstärkt wird dieser Aspekt durch den Einsatz der Schwarzweißfotografie, die kompositorische Strukturen besonders gut nachvollziehbar macht. Unter Ausschluss von Zeugen ausgeführt, d.h. ohne Anwesenheit eines unmittelbaren Publikums entstehen die skulpturalen Arrangements zum Zweck des Fotografiertwerdens. Sie sind demnach nicht Dokumentationen einer gefundenen Situation. Als neu geschaffener »Aggregatzustand« eines vorgegebenen Pools an Gegenständen existieren sie ausschließlich im fotografischen Bild, quasi in der Erinnerung einer bereits vergangenen Inszenierung.
Selbst in ihrer vorübergehenden Metamorphose als Material von Slotawas ln-Situ-lnstallationen behalten die verwendeten Objekte jedoch ihre Funktion als Teil einer flüchtigen Behausung. Sind Hotelzimmer meist auf das Nötigste reduzierte, anonyme Orte, dokumentieren Florian Slotawas Fotografien immer auch einen Prozess der Aneignung. Seine temporären Skulpturen bilden einen Raum im Raum, einen Schutzraum innerhalb einer bislang fremden Umgebung, der eine Nutzung als Schlafstätte durchaus ermöglicht. Sie werden zu einer »Heimat auf Zeit«. […]
1 Vgl. Michel Foucault, »Andere Räume«, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. hg. von Karlheinz Barck, Peter Genie, Heidi Paris und Stefan Richter, Leipzig 1991, S. 34–46. lheterotopisch = gleichzeitig an unterschiedlichen Orten wachsend)
Astrid Wege ist Kunsthistorikerin und leitet aktuell das Goethe-Institut Kolkata, Indien. Der Textauszug entstammt der Publikation zu Florian Slotawas Einzelausstellung Gesamtbesitz in der Kunsthalle Mannheim 2002.